Medien / Raum / Architektur

Das Projekt ‚Medien, Raum, Architektur – Wahrnehmungen und Reflektionen im Kosmos des Urbanen‘ wurde im Wintersemester 2017/2018 am Institut für Theater- und Medienwissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg umgesetzt und hat das Format der ‚Urbanen Feldforschungen‘ mit einem Ausstellungskonzept verbunden. Teilgenommen haben daran Masterstudierende, die nach gemeinsamen theoretischen Annährungen eigene Projekte entwickelt, die schließlich in einer Sammelausstellung nach einer individuellen Präsentation der eingeladenen Öffentlichkeit vorgestellt wurde.

Der „Raum“ ist zugleich und überall – beim Blick in den Himmel, auf die Wiese, das Meer, in den Spiegel, die Stadt, auf die Projektionsfläche, den Bildschirm, in das Buch und sogar beim Blick in uns selbst. Er ist omnipräsent und bestimmt sich dadurch, wie und ob wir ihn sehen und wahrnehmen können, und was wir über ihn wissen, wissen können und auch wissen wollen. Wir alle bewegen uns in ihm mit unseren Körpern, nehmen ihn jedoch völlig unterschiedlich wahr. Wir sprechen, schreiben über ihn, halten ihn fotografisch oder filmisch fest, konstruieren Narrative und Projektionen. Doch wie machen wir das? Welche Medien befähigen uns dazu? Was machen wir mit ihnen? Und was machen Sie mit uns? Wie kommen unsere räumlichen Imaginationen, Weltbilder und (Raum)Begriffe überhaupt zustande?

Hier setzte dieses Projektseminar an, das diese beiden Begriffskonzepte – Wahrnehmen und Wissen – als medientheoretischen Ansatzpunkt genommen hat. Ausgehend von den Paradigmen der Medientheorie wurde der (urbane) Raum in das Zentrum des (Seminar)Interesses gerückt. Die dort zu behandelnden Axiome der Raumtheorie sollten nachfolgend in der Praxis raumbezogener Feldforschung überprüft, mit qualitativen Methoden aus den Geistes-, Sozial- und Kunstwissenschaften. Schließlich konnten so individuelle Projekte entwickelt und ausgearbeitet werden, die in einem finalen Schritt gesammelt in einer Ausstellung am 4. Februar 2018 im „Kultursaal“ des Kulturamts Erlangen präsentiert wurden.

Theorien

In einem ersten Schritt galt es, die Medien der Wahrnehmung zu reflektieren, durch die Wissen überhaupt erst entstehen kann. A priori stehen da die menschlichen Sinne, die den Zugang zu dem ermöglichen, was wir Welt nennen, und die als Kulturtechniken der Wahrnehmung betrachtet werden können (u.a. mit Marcel Mauss, André Leroi-Gourhan, Gernot Böhme). Unter der Annahme, dass die Ausprägung der Sinne in ihrem Zusammenhang mit der Produktion von Wissen unmittelbar an die Nachahmung gebunden ist (siehe Gabriel de Tarde), hat sich die Perspektive des Seminars insbesondere auf die Wahrnehmung und Verarbeitung von Symbolen und Bildern gerichtet, da sie als Grundlage von Schrift- und Bildmedien die Kommunikation der Kultur(en) maßgeblich bestimmen.

Dieser Weg führte in einem zweiten Schritt in eine direkte Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen Wissen über den urbanen Raum, und zwar in medien- beziehungsweise kulturwissenschaftlicher Perspektive. In der Annahme, dass Wissenschaft immer gekoppelt ist an mediale Historiographien und den Glauben an diese, wurden Autoren wie Michel Foucault, Gilles Deleuze/Félix Guattari, Friedrich Kittler und weitere (insbesondere aus dem ‚Kursbuch Medienkultur‘) für konkrete Argumentationen herangezogen. Und direkt an die kulturwissenschaftlichen Raumtheorien gekoppelt (u.a. die bereits genannten Autoren, dazu Perspektiven/Texte aus dem Sammelband ‚Raumtheorie‘ von Stephan Günzel), denn schließlich sind es die Medien, durch die der Raum überhaupt erst erfahrbar wird. Dies betrifft im Besonderen den architektonischen Entwurf und somit die Stadtplanung, wie z.B. die Nutzbarmachung der Zentralperspektive für die Implementierung des Rasters in der (Kolonial)Architektur zeigt (siehe dazu u.a. Bernhard Siegert und Daniel Gethmann). Das Seminar sollte auf diesem Wege der daraus entstehenden Frage nachgehen, in welcher Art und Weise sich die medialen Historiographien über den Raum mit der Raumproduktion selbst in einer konstruktiven Wechselwirkung befinden.

Feldforschung

Um für diese Aufgabe Strategien samt Methoden zu finden, setzte sich in dem Projektseminar in einem dritten Schritt der urbane Raum selbst mit seinen Architekturen in den Mittelpunkt des Interesses; um ihn in einem bestimmt offenen Modus des Wissens wahrzunehmen und die praktischen Erfahrungen mit den Theorien in Bezug zu setzen. Ausgangspunkt waren dabei wieder die zuvor verhandelten Kulturtechniken der Wahrnehmung. Ziel an dieser Stelle war es, dass jeder Studierende seine individuelle Wahrnehmung, den Modus seines Bewegungsapparates (neben dem Körper jede weitere Art von Fahrzeugen, siehe Paul Virilio) und die dementsprechenden Wechselwirkungen mit dem (Un)Bewussten reflektieren lernt, um sich so in gemeinsamen und individuellen Ortsbegehungen methodisch originell einen zu bestimmenden Raum zu Eigen zu machen. In Deutschland als Spaziergangswissenschaft durch Lucius Burckhardt bekannt, in den USA durch Robert E. Park und Jane Jacobs salonfähig gemacht und als Konzept wie Geländeübung, Exkursion, Feldforschung (wie der Teilnehmenden Beobachtung) wissenschaftlich anerkannt, bindet sich diese Art der urbanen Forschung an zeitgenössische Kulturtechnikforschungen über das Gehen, wie sie im Anschluss an Marcel Mauss‘ Körpertechniken von Tim Ingold (‚Ways of Walking‘) oder auch von Rebecca Solnit (‚Wanderlust‘) ausgeführt wurden. Für das Seminar hieß dies konkret, theoretisches Wissen mit praktischen Erfahrungen zu ergänzen, und zwar in und um Erlangen und Nürnberg, wobei die Wahl der jeweiligen Orte, Räume und Routen auf Inspirationen aus den Texten, Vorschlägen sowie den Ideen der TeilnehmerInnen basierte.

Die Durchführung dieser Spaziergänge verlief sowohl phänomenologisch als auch mit dem strategischen Ansinnen hin zu individuellen oder gruppenbezogenen Projektfindungen – mit dem Ziel, die daraus resultierenden Arbeiten in einem zu findenden Setting zusammenzuführen und anschlussfähig zu machen (Projektpräsentation, kleines Symposium und eine gemeinsame Ausstellung). So konnten die Studierenden durch Reflektion des Theoretischen und der gemeinsamen/eigenen Erfahrung zur Erarbeitung von Projektarbeiten motiviert werden, die dann während der Ortsbegehungen eingebracht wurden. Schließlich sollte in der Verarbeitung des Erlernten und Erlebten Wissen produziert werden, das wiederum einen konkreten Raum gestaltet und bespielt, möglichst zugänglich für die Öffentlichkeit. Die Zielvorstellung des Seminars lag nämlich in der Anfertigung von Projektarbeiten, die sich in den Mitteln ihrer Erarbeitung selbst thematisieren und verhandeln sollte, basierend auf den Perspektiven des Seminars und unter Zuhilfenahme jedweder medialer Historiographien wie Bild, Film und Text bis hin zu Instrumenten der Performance oder anderer ereignishafter Techniken.

Projekte

Auf Basis dieser Erfahrungen, Impulse und Anregungen wurden indivuelle Projektideen entwickelt und ausgearbeitet, die in gemeinsamer Runde reflektiert und diskutiert wurden. Diese Projekte sollten sich in einem offenen Spektrum des künstlerisch/wissenschaftlichen Ausdrucks bewegen und möglichst reflexiv im Umgang mit ihren Methoden, Medien und Akteuren sein. Die Zeit für die Bearbeitung dieser Einzel- oder Gruppenarbeiten betrug etwa zwei Monate. Direkt im Anschluss ging es dann in die konkreten Vorbereitungen des finalen Ereignisses des Projektmoduls, nämlich der Kreation eines von allen TeilnehmerInnen konzipierten Präsentations- und Ausstellungsraums, in dem einen Tag lang die entstandenen Arbeiten in Anwesenheit der angehenden WissenschaftlerInnen bzw. KünstlerInnen gezeigt und diskutiert wurden. Mehr Informationen zu dieser gut besuchten und besonderen Ausstellung finden sich hier:

https://www.theater-medien.phil.fau.de/itm-ausstellung-medien-raum-architektur/

Fotos: Eva-Maria Hugo

Für dieses Projekt wurde ein ‚Reader‘ erstellt, als Basis für die Entwicklung gemeinsamer Perspektiven sowie als Orientierung für individuelle Projekte:

Inhalt

a. Kulturtechniken

Martin Heidegger: ‚Erste Stunde‘. In: Ders.: Was heisst Denken?, Gesamtausgabe 8. Frankfurt am Main, 2002. S. 5-14.

Martin Heidegger: ‚Sprache‘. In: Ders.: Überlieferte Sprache und technische Sprache. St. Gallen, 1989. S. 20-29.

Gabriel de Tarde: ‚Die universelle Wiederholung I‘; ‚Die außerlogischen Einflüsse‘, ‚I. Die Nachahmung von innen nach außen‘; ‚Der Gebrauch und die Mode‘, ‚I. Sprache‘. In: Ders.: Die Gesetze der Nachahmung. Frankfurt am Main, 2009. S. 25-37, 207-230, 260-280.

Marcel Mauss: ‚Die Techniken des Körpers‘. In: Ders.: Soziologie und Anthropologie 2. Frankfurt am Main, 1989. S. 199-220.

b. Wahrnehmung

Maurice Merleau-Ponty: ‚Das Auge und der Geist‘. In: Dünne /Günzel (Hg).: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaft. Frankfurt am Main, 2006. S. 180-192.

Maurice Merleau-Ponty: ‚Die Theorie des Leibes als Grundlegung einer Theorie der Wahrnehmung‘. In: Hauser /Kamleithner /Meyer (Hg.): Architekturwissen. Grundlagentexte aus den Kulturwissenschaften. Bd. 1: Zur Ästhetik des sozialen Raumes. Bielefeld, 2011. S. 218-222.

Gaston Bachelard: ‚Poetik des Raumes‘. In: Dünne /Günzel (Hg.: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaft. Frankfurt am Main, 2006. S. 166-179.

Gernot Böhme: ‚Wahrnehmung‘ und ‚Atmosphären‘. In: Ders.: Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre. München, 2001. S. 29-58.

c. Raum

Michel Foucault: ‚Von anderen Räumen‘. In: Ders.: Dits et Ecrits. Schriften. Vierter Band. Frankfurt am

Main, 2005. S. 931-943.

Paul Virilio: ‚Fahrzeug‘. In: Claus Pias u. a. (Hg.): Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard. Stuttgart, 1999. S. 166-184.

Gilles Deleuze / Félix Guattari: ‚1440 – Das Glatte und das Gekerbte‘. In: Dünne /Günzel (Hg).: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaft. Frankfurt am Main, 2006. S. 434-444.

d. Medien

Georg Simmel: ‚Die Großstädte und das Geistesleben‘. In: Hauser /Kamleithner /Meyer (Hg.): Architekturwissen. Grundlagentexte aus den Kulturwissenschaften. Bd. 1: Zur Ästhetik des sozialen Raumes. Bielefeld, 2011. S. 147-157.

Marc Augé: ‚Die Stadt – Vom Imaginären zur Fiktion‘. In: Jacob Wenzel (Hg.): Der Sinn der Sinne. Göttingen, 1998. S. 401-415.

Marc Augé: ‚Von den Orten zu den Nicht-Orten‘. In: Hauser /Kamleithner /Meyer (Hg.): Architekturwissen. Grundlagentexte aus den Kulturwissenschaften. Bd. 2: Zur Logistik des sozialen Raumes. Bielefeld, 2013. S. 72-78.

Friedrich Kittler: ‚Eine Stadt ist ein Medium.‘ In: Hauser /Kamleithner /Meyer (Hg.): Architekturwissen. Grundlagentexte aus den Kulturwissenschaften Bd. 2: Zur Logistik des sozialen Raumes. Bielefeld, 2013. S. 274-282.

Markus Bossert: ‚Spazieren als Wissenschaft‘. In: Ueli Mäder u.a. (Hg.): Raum und Macht. Die Stadt zwischen Vision und Wirklichkeit. Regensburg, 2014. S. 139-154.

e. Methoden

Dipesh Chakrabarty: ‚Europa provinzialisieren. Postkolonialität und die Kritik der Geschichte‘. In: Conrad /Randeria (Hg.): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. Frankfurt am Main, 2002. S. 283-312.

Georg Christoph Tholen: ‚Platzverweis. Unmögliche Zwischenspiele von Mensch und Maschine‘. In: Bolz /Kittler /Tholen (Hg.): Computer als Medium. München. 1999. S. 111 –135.

Lena Eckert: ‚Öffentliche Toiletten als kompensatorische Heterotopien‘. In: Martin /Steinborn (Hg.): Orte. Nicht-Orte. Ab-Orte. Mediale Verortungen des Dazwischen. Marburg, 2015. S. 27-40.

Joseph Vogl: ‚Schöne gelbe Farbe. Godard mit Deleuze‘. In: Balke /Vogl (Hg.): Gilles Deleuze -Fluchtlinien der Philosophie. München, 1996, S. 252-265.

f. Wissensproduktion

Hans-Jörg Rheinberger: ‚Wissensräume und experimentelle Praxis‘. In: Helmar Schramm (Hg.): Bühnen des Wissens. Interferenzen zwischen Wissenschaft und Kunst. Berlin, 2003. S. 366-382.

Gilles Deleuze: ‚Das Aktuelle und das Virtuelle‘. In: Gente /Weibel (Hg.): Deleuze und die Künste. Frankfurt am Main, 2007. S. 249-253.

Friedrich Kittler: Grammophon Film Typewriter. Berlin, 1986. S. 3-33.

Helmar Schramm: ‚Einleitung. Schauraum /Datenraum‘. In: Ders. (Hg.): Bühnen des Wissens. Interferenzen zwischen Wissenschaft und Kunst. Berlin, 2003. S. 9-27.