Neues Denken erlaufen

Diese Orientierungsstütze für die individuelle Umsetzung einer ‚Urbanen Feldforschungen‘ soll helfen, sich spontan wesentliche Perspektiven maßgeblicher kulturwissenschaftlicher Theorien der Raumforschung in Erinnerung rufen zu können. Sie kann einfach ausgedruckt werden uns bei einem Spaziergang jederzeit zur Hand genommen werden. Ein ausgiebiges Textstudium der jeweiligen Ansätze und Theorien kann und will diese Orientierungsstütze allerdings nicht ersetzen!

Wichtige und einzige Regel:

Auf die Nutzung von Smartphones ist während der ‚Urbanen Feldforschung‘ zu verzichten!

Im Zentrum der Beobachtung sollen folgende ‚Kategorien‘ stehen:

– Orte / Räume

– Medien / Geschwindigkeit

– Akteure / Selbstreflexion

– Orte und Räume (nach Michel Foucault)

Während der Exkursion sollen Dich alle erfahrenen und wahrgenommenen Orte interessieren, welche wiederum auf ihre Eigenheiten, auf ihre Funktionen, auf ihre Besonderheiten, auf ihre Typisierung untersucht werden sollen. Ein paar leitende Perspektiven wären:

_Welche verschiedenen Ideen und Visionen sind mit diesem Ort verbunden? Was soll er sein? Was soll er versprechen? Wie ist er? Und was ist er nicht?

_Wer ist an diesem Ort willkommen? Für wen ist er gemacht? Wer sind die Nutzer? Wie funktioniert er? Haben alle Menschen Zutritt? Gibt es Bedingungen? Welche Regeln sind ihm zu Eigen? Welche gesellschaftliche Funktion besitzt er/besaß er?

_ Ist es ein offener oder geschlossener Raum hinsichtlich seiner Nutzung? Wen oder was repräsentiert er? Wie steht es um seine Symbolik? Ist eine politische Ausrichtung zu entdecken?

_Wie ist der Ort in seiner Geometrie angelegt? Ist die Linie oder der Punkt dominant? Gibt es Instanzen der Kontrolle und Disziplinierung, die auf den Menschen wirken?

_Ist es ein Ort des Wohnens, also ein Ort, an dem Menschen wohnen? Kann der Mensch an der Errichtung und Pflege seiner Umgebung teilhaben, oder ist er lediglich Konsument?

_ Was nehmen Deine Sinnesorgane wahr? Wie ist der Ort beziehungsweise Raum in seiner Ästhetik beschaffen? Ist es ein repressiver Raum voller Gesetze oder eher ein Raum der Offenheit und der Gestaltbarkeit? Wie fühlst Du Dich? Wie verhältst Du Dich?

– Medien / Geschwindigkeit (nach Paul Virilio)

Der Forschende selbst ist ein Fahrzeug mit eigenem Tempo; lebendig sein heißt Geschwindigkeit sein. Die Stadt soll u.a. untersucht werden anhand der Modi, wie sich der menschliche Körper in ihr bewegen kann (Bürgersteige, Rollbänder, Fahrstühle, Türen) und wie er in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird (auf Straßen, durch Schmälerung von Bürgersteigen, durch Verbote). Die Steuerung des Körpers ist gebunden an die jeweilige physische Form und Beschaffenheit, seine Wahrnehmung an seine Sinnesorgane und die Verarbeitung der Eindrücke im Gehirn. Der Körper ist verletzlich, seine Sinne nehmen bestimmte Phänomene wahr, er besitzt die Fähigkeit sich zu bewegen – all das wird vom Gehirn verarbeitet, bewusst und unbewusst!

Ein paar Perspektiven bei der Bewegung im Raum während der Exkursion wären:

_Wie fühlt sich Dein ‚Fahrzeug‘ an? Wie verhält es sich in sozialen Zusammenhängen? Wie gegenüber anderen Fußgängern?

_Wie nimmst Du Dein ‚Fahrzeug‘ in der Beziehung zu den Infrastrukturen wahr, auf und in denen Du Dich bewegst (wie Straßen, Wege, Passagen, Ampeln, Türen, Schilder, Hindernisse, Baustellen)? Wie verhält es sich zu anderen Typen von ‚Fahrzeugen‘ (wie Fahrräder, Autos, Busse, Züge, Kinderwagen)?

_Wie verhält sich Dein ‚Nervenkostüm‘ und Deine Emotionen hinsichtlich der Geschwindigkeiten, der Tempowechsel und der Restriktionen der Bewegung, die erfahren werden?

_Wie reagieren Deine Sinne auf Geschwindigkeiten, in denen Du unterwegs bist? Wie Dein Denken?

_ Was sind die Besonderheiten der Medien und Fahrzeuge, die Dich tragen? Wie verändert sich Deine Sinneswahrnehmung? Wie ist es in den Verkehrsmitteln um das Soziale beschaffen?

=> Versuche, Dich Deiner Bewegung beziehungsweise Nicht-Bewegung bewusst zu werden und setze diese in Bezug zu den Räumen, die durchwandert werden!

Akteure / Selbstreflexion (nach Markus Bossert)

In dieser Perspektive sollst Du Deine Wahrnehmung und Dein Bewusstsein beobachten, wenn Du unterwegs bist. Ebenso wie die Techniken, die Du benutzt, um Dich zurechtzufinden. Bilder, Zahlen, Sprache, all dies sind kommunikative Techniken, die Dir dabei helfen. Genauso wie Dein Gedächtnis und Deine Imagination und Phantasie. Folgende Fragen können Dich während des Gehens begleiten:

_Wie findest Du Dich im Raum zurecht? Ist es ein Mitlaufen samt Mitdenken? Gibt es Erinnerungen an die Orte? Welche Vor- und Nachteile hätte jetzt die Nutzung eines Smartphones?

_Weißt Du noch, woher Du gekommen seid? Hast Du eine innere Karte angefertigt? (=> eine Art des Forschungsansatzes wäre, eine ‚Mental Map‘ zu zeichnen).

_Welche Orte sind schön und welche hässlich? Woran binden sich solche Bewertungen und Deutungen? Stell Dir die Frage, wie Dein ästhetisches Empfinden begründet ist.

_Wie verhält sich Dein Körper in den unterschiedlichen Passagen? Wann fühlt der Körper sich in seiner Bewegung gut und ausgeglichen an – und woran kann das liegen? Und umgekehrt, wo besteht körperliches Unbehagen? Gibt es Momente der Gleichgültigkeit?

_ Wie begegnest Du anderen Menschen? Versuche, die Gefühle auf Besonderheiten des Ortes zu beziehen, oder auch den Funktionen zuzuschreiben, die Menschen in Räumen haben (und nicht haben).

_ Wie fühlst Du Dich als Individuum, wenn Du versuchst, gegen Verhaltensregeln zu verstoßen, die Deiner Meinung nach in dem jeweiligen Raum existieren? Dies könnten beispielsweise Bewegungen oder Geräusche oder sein.

– Wie nimmst Du Dich in sozialen Zusammenhängen wahr, wenn Du gegen solche Regeln verstößt? Wirst Du angeschaut? Und wenn ja, wie? Was macht das mit Dir?

Anzumerken ist, dass über diese Fragen und Perspektiven hinaus noch viele weitere möglich sind!

Motto: Sammeln, Denken, Reflektieren

Dokumentiere Deine Eindrücke mit allem, was Dir zuhanden ist und was Du gerne benutzt. Schreiben, fotografieren, zeichnen, malen, aufnehmen, sammeln – und nimm alles in den Blick, was Dir interessant oder merkwürdig erscheint.

Foto: Eva-Maria Hugo