Erfahrung des Raumes

von Stefan Becker

Erfahrung des Raumes. Wahrnehmung des Urbanen durch Körperapparat und Kulturtechniken als kreatives Ereignis des Denkens, der Atmosphäre und der Gesellschaft

1. Was heißt Denken?

Wenn wir über den Begriff des Raumes sprechen, handelt es sich dabei immer um konkrete Raumvorstellungen, denen wir Ausdruck geben wollen. Sei es, dass wir Worte wie Stadt, Landschaft, Infrastruktur oder Umgebung verwenden, Bilder beschreiben oder Metaphern bemühen, wir versuchen über etwas zu kommunizieren, was sich in unseren Vorstellungen befindet.  In unserer Erinnerung, in unserem Denken.

Das Denken ist die Grundlage unserer Daseinsempfindung, unserer Wirklichkeit und unseres Zusammenseins. Es ist die Bedingung unseres Seins. Dieses Denken findet statt in unserem Gehirn. Dort passiert das, was uns ein Ich denken lässt, uns eine Identität gibt und uns als Menschen zum Menschen macht.

Dieser Apparat bringt ein Denken hervor, das in der Philosophie des Denkens von Martin Heidegger wie folgt bezeichnet wird:

„Der Mensch heißt doch der, der denken kann – und das mit Recht. Denn er ist das vernünftige Lebewesen. Die Vernunft, die ratio, entfaltet sich im Denken.“

Denken ist der biologische Prozess, der dem Menschen seine Definition verleiht. Folglich muss sich die Frage stellen, was Denken überhaupt heißt, wie es zustande kommt und wodurch es konstituiert wird.

In dieser Frage bezieht sich der betreffende Heidegger in seiner Schrift „Was heißt Denken?“ insbesondere auf Nietzsches Zarathustra und dem Konzept des Denkens als Weg.

In dieser Metaphorik verortet er sich mitten in einer philosophischen Denkart, die sich in Europa von Aristoteles und Platon aus über Rousseau und Kant bis Thoreau und Rimbaud zieht, um nur einige zu nennen. Die Erkenntnis als höchstes Gut des Denkens wird dabei in Anlehnung an eine Läuterung konstruiert, welche direkt auf das biblische Paradigma der Pilgerung  und Erleuchtung rekurriert.

Gehen und Denken bildet dabei eine Interaktion, die gleichermaßen bewusst und unbewusst als Wirklichkeitserfahrung in unser Ich eingeht.

Zuallererst ist der Mensch ein Apparat. Eine biologische Maschine, die nach dem Prinzip der Autopoiesis funktioniert und eine begrenzte Lebensdauer besitzt. Er ist prinzipiell ausgestattet mit einer bipedalen Bewegungskompetenz, mit bimanuellen Greiforganen, einer aus fünf Sinnen bestehenden Wahrnehmung sowie einem zentralisierten Nervensystem, das in seinem Gehirn zusammenläuft.

Hervorzuheben ist dabei, dass jede Wahrnehmung ein singuläres Ereignis darstellt, wie es auch jeder Moment unseres Lebens ist. Mit der Besonderheit, dass wir die ereignishafte Singularität unseres Daseins in der Welt besonders gut erfahren können, wenn wir einen Fuß vor den anderen setzen und uns selbst beziehungsweise das, was wir als uns selbst bezeichnen, dabei beobachten können.

Rebecca Solnit, eine Wanderforscherin, schrieb dazu:

„Das Gehen ist im Idealfall ein Zustand, in dem Geist, Körper und Welt aufeinander abgestimmt sind, so als wären drei Charaktere im Gespräch miteinander, als würden drei Klänge einen Akkord formen. Das Gehen erlaubt es uns, in unserem Körper und in der Welt zu sein, ohne von ihnen beschäftigt zu werden. Es lässt uns frei denken, ohne völlig in unseren Gedanken verloren zu sein.“

In dieser Auffassung wird das Momentum des Gehens zu einem Ereignis, gleich einer Trance, in welcher der Mensch in seiner umfassenden Wesenhaftigkeit in die Welt integriert sein kann. Heidegger hat dies als ein „In-der-Welt-Sein“ beschrieben.

Diese atmosphärisch und kommunikativ hergestellte Harmonie der Komponenten Denken, Körper und Welt erlaubt demnach eine Einbettung der Daseinsempfindung in das Göttliche, so Solnit, durch die Momente der Sinnhaftigkeit entstehen können. Oder anders gesagt: Gehen lässt das Denken los.

Erinnern wir uns an Heidegger und seine Aussage, dass der Mensch sich durch seine Ratio als Mensch definiert, als das vernünftige Tier. Er verankert sich inmitten einer Welt, die er selbst konstruiert, wie Schopenhauer sagt:  „Die Welt ist meine Vorstellung“. Es gibt keine Realität, keine Bäume, keine Flüsse, keine Berge. Alles ist nur meine oder Deine Vorstellung.

Daraus schließt Heidegger: „Denken ist ein Vorstellen.“ Der Mensch in seiner Rationalität ist ein Kreateur von Ideen, die in seinem Gehirn produziert werden, mit direktem Einfluss auf sein körperliches und neuronales Verhalten. Und umgekehrt. Denn so, wie der Mensch geht, so „geht“ auch sein Denken.

Und wenn der Mensch dieser Symbiose nicht vertraut, verliert er möglicherweise sich selbst. Zitat eines tibetischen Mönchs während der Begehung eines steilen Abschnitts am Berg.

„Wenn Du denkst, Du fällst, dann fällst Du.“

2. Bewegung in Raum und Zeit

Der Mensch mit seinen beiden Beinen ist ein Fahrzeug. Er bewegt sich in der Welt. Raum und Mensch sind unmittelbar miteinander verbunden. Sie beeinflussen einander, denn der Mensch erlangt sein Denken durch den Raum. Mithilfe des Mediums der Photographie und der Projektion möchte ich ihnen nun bildlich Raumvorstellungen vermitteln, welche das eigene Denken erweitern und in seiner Selbstverständlichkeit bedrängen sollen indem man sich vorzustellen versucht, in und mit diesen aufgewachsen zu sein, in ihnen zu wohnen. Wie wäre das eigene Denken im Unterschied zum jetzigen Denken geprägt worden? Wie würde man die Welt wahrnehmen, wäre man ein anderer?

Am liebsten würde ich mit ihnen die hier gezeigten Orte direkt begehen, eine Expedition bilden. Wir könnten von den wahrnehmbaren Phänomenen ausgehen und sie mit unseren Mitteln der Äußerung kommunikativ verarbeiten, und mit den Kulturtechniken der Aufschreibung Narrative bilden. Ganze Laboratorien könnte man errichten, in denen die „gesammelten Dokumente über die träumenden Bewußtseine“ verarbeitet werden können, wie Gaston Bachelard es vorschlägt.

So aber müssen sie sich auf meine visuellen und narrativen Angebote einlassen.

Illustrationen I:      Linie

Anfangen möchte ich mit medialen Historiographien, welche eine uns wohlbekannte Architektur illustrieren. Ich nenne sie einfach mal linear beziehungsweise biopolitisch, damit sie wissen, wohin die Reise gehen wird.

Selbstverständlich zeige ich ihnen diese Bilder, weil ich auf etwas aufmerksam machen will. Und dies sind Formen der Geometrie.  Die Linie, der rechte Winkel, die Sichtachse. Dazu Begriffe wie Ordnung, Struktur, Kontrolle, Stadtplanung, Technik und Sicherheit, Beständigkeit und Kontinuität. Weitere Konzepte wären hinzuzufügen. Ich möchte Ihnen diese Bilder an dieser Stelle nicht mit meinen Vorstellungen erklären, sondern erstmal auf sie wirken lassen.

Le Corbusier, der als einer der maßgeblichen Architekten der Moderne gilt und auf dessen sozial-ästhetischen Manifesten die Moderne Architektur des Bauhauses wie auch der nahe gelegenen Industriearchitektur der Quelle oder der AEG in Nürnberg beruht.

„Der Mensch schreitet geradeaus, weil er ein Ziel hat; er weiß, wohin er geht, er hat sich für eine Richtung entschieden und schreitet in ihr geradeaus. Der Esel geht im Zickzack, döst ein wenig, blöde vor Hitze und zerstreut, geht im Zickzack, um den großen Steinen auszuweichen, um sich den Anstieg sanfter zu machen, um den Schatten zu suchen. Er strengt sich so wenig wie möglich an. Der Mensch beherrscht sein Gefühl durch die Vernunft. Er bändigt seine Gefühle und seine Instinkte um des vorgefaßten Zieles willen. Er zwingt mit seinem Verstand das Tier in sich selbst zum Gehorsam. Sein Verstand baut Regeln auf, die das Ergebnis der Erfahrung sind. Die Erfahrung ist das Kind der Arbeit; der Mensch arbeitet, um nicht zugrunde zu gehen. Um zu schaffen, muß man eine Richtlinie haben, muß den Regeln der Erfahrung gehorchen. Man muß vorausdenken, an das Ergebnis.“

Illustrationen II:     Irrgarten/Labyrinth

Als Kontrast dazu sollen Architekturen aus Brasilien dienen, deren Wege dem Verschlungenen und Labyrinthischen zuzuordnen sind.

Die Treppenstufen und Gassen der Favelas implizieren eine zerstreute und verteilte Bewegung, im Vergleich zu den geraden und beschleunigenden Straßen und Achsen des geordneten Urbanen. In den Favelas herrscht nicht nur eine andere Geschwindigkeit, sondern es gibt auch keine lineare Ausrichtung, sowohl ästhetisch als auch sozial. Die Nischen und Zickzacks erzeugen Bewegungen, die mehr labyrinthisch sind, als dass sie zu einem konkreten Ziel hinzeigen. Es gibt viele Wege zu jedem Ort, wobei das Versprechen eines Ortes während der Erfahrung des Gehens und dessen affektiver Prozesse sich wandeln und neu bestimmt werden kann.

In Brasilien gibt es mittlerweile Zweige wissenschaftlicher Forschung, die sich zwischen den linearen und labyrinthischen Universen der Gesellschaft verortet. Hier ein Forschungsergebnis als Narrativ:

„Die Straßen und Gassen sind fast immer sehr schmal und verwinkelt, was den labyrinthischen Eindruck verstärkt und eine große physische Nähe und Durchmischung nach sich zieht. Den Hügel hinaufzusteigen ist zum Beispiel eine Erfahrung einer einzigartigen Raumwahrnehmung, ab den ersten Steigungen bemerkt man einen anderen Rhythmus des Gebens, ein sinnliches Hüftschwingen, das der Aufstieg erfordert. Bewegt man sich durch die Favela, so sieht man, wie die Kinder in diesem Raum anfangen Samba zu tanzen, noch bevor sie richtig laufen können, und es ist auch sehr selten, dass man auf dem Hügel gerade läuft – man kommt nicht umhin, an den berühmten Spruch Le Corbusiers von den Wegen der Menschen und der Esel zu denken: »Der Mensch läuft gerade / … / der Esel im Zick-Zack / … /«“

3. Denken im Raum

Die Art und Weise zu Denken und Vorstellungen zu formen ist etwas, das wir lernen.

Die erste Perspektive, die ich hier anbieten möchte, bezieht sich auf den Modus der Nachahmung, die uns fähig macht, Ideen zu entwickeln. Diese wiederum – und das ist wichtig – ermöglichen uns zu kommunizieren und, folglich, sozial zu sein.

Jeder Mensch erfährt eine Sozialisation, an die er sich später als Erwachsener nur spärlich erinnern kann. Die beiden größten Leistungen, die der Mensch als Kind zu vollbringen hat, sind das Erlernen des Gehens und des Sprechens. Diese beiden Leistungen werden durch die Nachahmung hervorgebracht, und zwar durch Erziehung von und Gehorsam gegenüber einem gesetztem Vorbild. Gehen und Sprachen sind demnach keine individuellen Erfindungen, sondern biopolitische Disziplinierungen des Körpers. Oder anders gesagt: Techniken des Körpers, wie Marcel Mauss es beschreibt.

„Eine Art Erleuchtung kam mir im Krankenhaus. Ich war krank in New York. Ich fragte mich, wo ich junge Mädchen gesehen hatte, die wie meine Krankenschwestern gingen. Ich hatte genug Zeit, darüber nachzudenken. Ich fand schließlich heraus, daß es im Kino gewesen war. Nach Frankreich zurückgekehrt, bemerkte ich vor allem in Paris die Häufigkeit dieser Gangart; die jungen Mädchen waren Französinnen und gingen auch in dieser Weise. In der Tat begann die amerikanische Gangart durch das Kino bei uns verbreitet zu werden. Dies war ein Gedanke, den ich verallgemeinern konnte. Die Stellung der Arme, der Hände während des Gehens, stellen eine soziale Eigenheit dar und sind nicht einfach ein Produkt irgendwelcher rein individueller, fast ausschließlich psychisch bedingter Handlungen und Mechanismen. Beispiel: Ich glaube, ein junges Mädchen erkennen zu können, das im Kloster erzogen wurde. Sie geht meistens mit geschlossenen Fäusten. Ich erinnere mich auch noch an meinen Lehrer in der Tertia, der mir zurief: »Du komische Kreatur, was läßt Du beim Gehen immer Deine großen Hände geöffnet!« Also gibt es ebenso eine Erziehung zum Gehen.“

Eine bestimmte Körpertechnik ist jeweils angebunden an einen Begriff, der die spezifische Handlung bezeichnet. Sei es ein Handstand, das Schwimmen, das Winken, der Spagat oder der Handschlag. All diese Körpertechniken beruhen stets auf Nachahmung, die nicht selten zwischen Bewusstem und Unbewusstem verlaufen.

Dies führt mich zu der zweiten Perspektive, die ich in diesem Vortrag eröffnen möchte, nämlich der stärkeren individuellen Konstruktion von hergestellten Vorstellungen.

Gaston Bachelard versucht in seinem Buch „Poetik des Raumes“ neue Sichtweisen auf die Formierung des individuellen Gemüts zu entwickeln. Er sieht sich selbst als einen „getreuen Wissenschaftsphilosophen, der sich lange bemüht hatte, die Bilder außerhalb jeden Versuches persönlicher Interpretation zu betrachten. Allmählich ist ihm diese Methode, wenn sie auch die wissenschaftliche Vorsicht für sich hat, unzureichend erschienen, um eine Metaphysik der Einbildungskraft zu begründen.“ Und wendet sich den Vorstellungen zu. Denken ist demnach etwas, das sich mit den Konzepten der Seele und des Geistes verbindet, etwas, das zwischen Träumereien und Träumen mäandert. Bachelard verfolgt die Singularitäten der Sozialisation innerhalb der einzigartigen Räume der Kindheit, in einem Haus. Es enthält die Räume der Träumerei, die für die Erschaffung der poetischen Wahrnehmung der Umgebung des Kindes maßgeblich sind, und auch für die Wahrnehmung des eigenen Selbst.

„Denn das Haus ist unser Winkel der Welt. Es ist – man hat es oft gesagt – unser erstes Haus. Es ist wirklich ein Kosmos. Ein Kosmos in der vollen Bedeutung des Wortes. Ist nicht, als Intimität gesehen, noch die schlichteste Wohnung schön? […] Wenn man uns unter diesen Voraussetzungen nach der wertvollsten Annehmlichkeit des Hauses fragte, würden wir sagen: das Haus beschützt die Träumerei, das Haus umhegt den Träumer, das Haus erlaubt uns, in Frieden zu träumen. […] Im ganzen genommen, hat das Elternhaus uns die Hierarchie der verschiedenen Funktionen des Wohnens eingeprägt. Wir sind das Diagramm der Wohnfunktionen, jenes Haus und alle anderen Häuser sind nur Variationen eines fundamentalen Themas. Das Wort Gewohnheit wird allzu häufig gebraucht, um diese passionierte Bindung unseres Körpers, der nicht vergißt, an das unvergeßliche Haus zu bezeichnen.“

Das hier vorgestellte Haus dient als Paradigma eines Mikrokosmos. Diese konkreten Orte, die mit einer individuellen Reflexion des Autors verbunden sind, verdeutlichen SEINE Vorstellungen und SEINE Art zu denken. Dies eröffnet uns die Möglichkeit, andere individuelle Raumbiografien zu beleuchten und zu fragen, wie diese jeweiligen Räume das Denken der Menschen prägen.

Und diese Räume will Heidegger bedenken, denn ohne das Denken gibt es keinen Raum. Und auch keine Utopien.

„Ist die Rede von Mensch und Raum, dann hört sich dies an, als stünde der Mensch auf der einen und der Raum auf der anderen Seite. Doch der Raum ist kein Gegenüber für den Menschen. Er ist weder ein äußerer Gegenstand noch ein inneres Erlebnis. Es gibt nicht die Menschen und außerdem Raum […].“

Räume eröffnen sich dadurch, dass sie in das Denken des Menschen eingelassen sind, durch die Wahrnehmung. Nicht der Mensch wohnt im Raum, sondern der Raum wohnt im Menschen. Und dahin gelangt der Raum, in dem er vom Menschen begangen wird. Dieses Ansammeln von Raum (sagen wir: durch Eindrücke) formt das Denken und die Vorstellungen des Menschen.

Wie würde sich ein Denken in seinen Ideen wohl verhalten, wenn es nicht in einem Haus sozialisiert wäre, sondern in einem Zelt, oder auf einem Baum, oder bei stetiger Bewegung im Raum ohne einen festen Ortsbezug?

Illustrationen IV: Rhizome

Dies führt uns zu dem zweiten Teil meines illustrierten Angebots, sich in ein neuer oder anderer Weise zu denken.

Die Bewegung innerhalb dieser Orte ist das, was der gebaute Raum mit uns macht. Zudem kann man gesondert betrachten, wie sich diese Architektur darstellt. Was heute da ist, muss morgen nicht da sein. Stetige Veränderungen, Wandlungen, Konnexionen, Transformationen können hier beobachtet werden. Architektur ist hier ein Rhizom im Deleuzianischen Sinne, ein Ereignis – nicht weil morgen alles anders sein muss, aber weil es anders sein kann.

Und weil alles mit allem verbunden scheint, sowohl im Prozess des Werdens als auch in der Verknüpfbarkeit der Perspektiven darauf. Es kommt darauf an, wie der Betrachter Zusammenhänge lokalisiert und herstellt, und welche Perspektiven er hat – und auch nicht hat. Aber vielleicht haben will.

Mit Deleuze und Guattari kann man sagen:

„Jeder Punkt eines Rhizoms kann (und muß) mit jedem anderen verbunden werden. Das ist ganz anders als beim Baum oder bei der Wurzel, bei denen ein Punkt, eine Ordnung, festgelegt ist.  In einem Rhizom dagegen verweist nicht jeder Strang notwendigerweise auf einen architektonischen (lnguistischen) Strang: semiotische Kettenglieder aller Art sind hier in unterschiedlicher Codierungsweise mit biologischen, politischen, ökonomischen etc. Kettengliedern verknüpft, wodurch nicht nur unterschiedliche Zeichenregime ins Spiel gebracht werden, sondern auch unterschiedliche Sachverhalte. Kollektive Äußerungsgefüge funktionieren tatsächlich unmittelbar in maschinellen Gefügen, und man kann keinen radikalen Einschnitt zwischen Zeichenregimen und ihren Objekten machen. Auch wenn die Architektur (Linguistik) den Anspruch erhebt, sich ans Explizite zu halten und im Raum nichts vorauszusetzen, bleibt sie doch in der Sphäre eines Diskurses, der bestimmte Arten von Gefügen und bestimmte Typen gesellschaftlicher Macht voraussetzt.“

Illustrationen IV:    Das Erhabene

Denken ist das, was dazwischen passiert. Was mit uns passiert.

Gehen wir durch einen Raum, kreieren wir den Raum. In uns, mit all unseren Wahrnehmungen und unseren Gefühlen. Den Gefühlen, die uns auratisch bedrängen, die sich in Atmosphären unweigerlich aufdrängen. Wohin unser Blick schweift, wohin unser Körper sich bewegt, das geht uns an, dazu entwickeln wir Vorstellungen und Gedanken.

Dies zeigt sich insbesondere dann, wenn sich die höchsten menschlichen Gefühle miteinander vermengen – wenn sich Angst und Lust vermischen, wie es Edmund Burke ausdrückt.

„Die Leidenschaft, die von dem Großen und Erhabenen in der Natur, wenn diese Ursachen am stärksten wirken, erregt wird, ist Erstaunen. Die Seele ist dann mit ihrem Gegenstande so erfüllt, dass sie an keinen anderen denken, und selbst über den ersten keine Betrachtungen anstellen kann.“

Dieses Erstaunen ist nur dem möglich, der Ereignisse wahrnimmt, in die er sich hineinbewegt. Indem er in das Unbekannte hineingeht.

Fotos: Stefan Becker und Eva-Maria Hugo